Das fremde zu Hause

Fürstlicher Schmetterlingsgarten

Das fremde zu Hause

Wirbellose - Neobiota

……Aber die Ausstellung lässt uns auch darüber nachdenken, dass das Eindringen zunächst fremder, aber zunehmend vertrauter Elemente uns selbst verändert. Denn das was wir einmal kennen, fürchten wir nicht mehr, es wird Teil unserer Kultur und Gesellschaft.

Dagegen die beiden Pole „Xenophobie – Fremdenangst“ und Exotismus – Faszination des Fremden“. Sie stellen zwei Extreme dar, die uns die objektive Sicht auf die Dinge nur erschweren: die Xenophobie bekämpft das Fremde, um das Eigene, Bekannte nicht in Frage stellen zu müssen – der Exotismus zieht dagegen in die Fremde, man muss daher zu Hause nichts ändern.

Wenn also diese Ausstellung hier im Schmetterlingsgarten uns dazu bringt, in den exotischen Schmetterlingen das Bekannte zu finden und in den heimischen Kokons und den „insecta urbanica“ und all den weiteren Spezies, das Fremde zu entdecken, gewinnen wir auch die Chance, scheinbar unversöhnliche Gegensätze aufzulösen. Natur und Kultur statt Natur vs Kultur, Bekanntes und Fremdes statt Bekanntem vs Fremdem.

Dafür danke ich den Künstlerinnen und Fürstin Gabriela und wünsche Ihnen viel Freude bei der Entdeckung von unbekannt Bekanntem! (Eröffnungsrede im Schmetterlingsgarten, Dr. Dieter Marcos)

 

Bildergalerie

Rede von Dr. Dieter Marcos:

Meine sehr verehrten Damen und Herren,

Heute nun also „Akt 3“ des Kunstprojekts „Wirbellose“ (übrigens nicht zu verwechseln mit „rückgratlos“), sondern – so der Untertitel „von Schmetterlingen und anderen veränderlichen Dingen“. Dieser 3. Akt präsentiert Ihnen gleich zwei Künstlerinnen: Ines Braun und Iris Stephan, die eine geboren in Duisburg, die andere gebürtig aus Bad Ems, haben sich mittlerweile in Köln, der Metropole des Rheinlands, niedergelassen und betreiben von dort die künstlerische Entdeckung nicht nur der rheinischen Welt. So, und eigentlich könnte ich damit auch bereits wieder aufhören: Auf einer Website über Iris Stephan steht nämlich folgendes schöne Zitat: „Kunst ist eine Vermittlerin des Unaussprechlichen; darum scheint es eine Torheit, sie durch Worte vermitteln zu wollen“ (Joh. Wolfg. v. Goethe). Was – meine sehr verehrten Damen und Herren – sollte ich nach einem solchen Hinweis mir noch erlauben, sagen zu können? Hinzu kommt, dass ich mir ein wenig vorkomme wie jene „Titelhelden“ der Ausstellung: nämlich wie ein „Neobiotum“, wie ein Fremder, der in unbekanntes Territorium verschleppt, dort eindringt und nun sein zweifelhaftes Handeln beginnt.

Von Haus aus wirklich nicht mit großen Biologiekenntnissen gesegnet, mögen Sie dem Kunsthistoriker daher die ein oder andere begriffliche Unschärfe verzeihen. Den ersten Fehler habe ich ja bereits begangen, denn – so habe ich in den letzten Tagen gelernt – ein Neobiotum gibt es gar nicht, Neobiota kommen nur in der Mehrzahl vor. Warum eigentlich?

Nehmen wird das Neue, Unbekannte, das Fremde erst dann wahr, wenn es massenhaft auftaucht? Vor allem aber gibt es unterschiedliche Arten dieser merkwürdigen „Neobiota“ : „nicht–invasive“, das sind jene, die sich relativ folgenlos in neubesiedelten Räume eingliedern und „invasive“, das sind jene, die das Gleichgewicht innerhalb eines Systems nachhaltig und übermäßig schnell stören. So zumindest die deutsche Definition. Im angelsächsischen Sprachraum spricht man dagegen von „exotic species“, „introduced species“ und „naturalized species“ also von fremdartigen , eingeführten und eingebürgerten Arten.

Und damit sind wir bereits nah bei unseren beiden Künstlerinnen. Ines Braun und Iris Stephan schreiben in der Einladung zur Ausstellung „das Thema sei widersprüchlich und vielschichtig, Vermutungen müssen sich an der Realität messen lassen, Ängste werden zu Albträumen und Begriffe wie „Gefangenschaftsflüchtig“ oder „Invasoren“ lassen Assoziationen aufkommen.“ Ähnlich wie „fremdartig“, „angepasst“ oder „eingebürgert“. Ist also die wissenschaftliche Erforschung der „Neobiota“ nur eine spezielle, auf die Natur projizierte Form des Exotismus?

Es ist doch auffallend, dass der Begriff der Neobiota nur auf die Jahre nach 1492 – also nach der Entdeckung Amerikas – Anwendung findet.

In der Zeit davor, als die Welt der Alten Europäer noch in Ordnung war, gab es das Problem nicht, obwohl ähnliche Phänomene sehr wohl existierten.

Zeigt sich also in der verbreiteten Reaktion gegen „invasive Neobiota“, nämlich sie möglichst zu beseitigen, also nur eine besondere Form der Xenophobie, der Angst vor dem Fremden? Die Rosskastanie und der Damhirsch – längst „eingebürgerte“ Neobiota – sind z.B. von solchen Überlegungen nicht betroffen, sie sind ja schließlich „integriert“. Oder ist das nur eine weitere, unmaßgebliche Assoziation?

Als Nicht–Biologe kann ich Ihnen die Antwort auf meine vielleicht naive Frage, ehrlich gesagt, nicht geben.

Was ich als Kunsthistoriker, im weiteren Sinne also Kulturwissenschaftler jedoch feststellen kann, ist, dass die Angst vor dem Fremden, gleichzeitig aber auch die Faszination für das Exotische zu den Grunderfahrungen menschlichen Zusammenlebens gehören. Wir gehen in Tierparks und Zoos um exotische Lebewesen zu bestaunen – und wir empören uns über deren Gefangenschaft und unnatürliche Lebensräume. Die Konsequenz ist heute, wir besuchen sie in fremden Ländern und bestaunen sie in ihrem eigenen  Lebensraum – und tragen damit gleichzeitig zu dessen Zerstörung bei: Ein wahrhaft unlösbarer Teufelskreis.

Und genau diesen können wir in der Ausstellung von Iris Stephan und Ines Braun wieder finden: Inmitten exotischer Schmetterlinge finden sich Ines Brauns scheinbar so fremde „Insecta urbanica“, darunter jene neuentdeckten „Megaptera“, „Großflügler“. Doch sehen Sie genau hin: die Details machen es deutlich. Sind nicht eigentlich die „insecta urbanica“ und ihre Einzelteile, dass, was wir kennen und die Schmetterlinge und ihre zierlichen Glieder und Farben das Fremde, Bedrohliche?

Wir können uns vielleicht über die „insecta urbanica“ freuen, möglicherweise sogar lachen – trotzdem bleibt an ihnen etwas Verstörendes. Und Iris Stephans Kokons? Scheinbar aus vertrauten Materialien angefertigt, zeigen sie nichts davon, was aus Ihnen entsteht, welcher mögliche Albtraum aus Ihnen schlüpft. Oder ihre „Brandings“: Alte Dias, die Iris Stephan mit der gleichen zerstörerischen Kraft bearbeitet hat, mit der einige der „invasiven“ Neobiota den heimischen Arten zu Leibe rücken. Schönheit entsteht hier als Ergebnis von Zerstörung.

Meine Damen und Herren, bitte verstehen Sie mich nicht falsch: ich halte nichts von dem unbedingten Fortschrittsglauben der Romantiker des 19. Jahrhunderts und noch einiger Expressionisten und Futuristen des frühen 20.Jahrhunderts, die, wie Friedrich Schlegel, von der „reinigenden Kraft des Krieges“ und der Gewalt als ästhetischem Fortschrittsmotor  fantasierten. Aber die Ausstellung lässt uns auch darüber nachdenken, dass das Eindringen zunächst fremder, aber zunehmend vertrauter Elemente uns selbst verändert. Denn das was wir einmal kennen, fürchten wir nicht mehr, es wird Teil unserer Kultur und Gesellschaft.

Dagegen die beiden Pole „Xenophobie – Fremdenangst“ und Exotismus – Faszination des Fremden“. Sie stellen zwei Extreme dar, die uns die objektive Sicht auf die Dinge nur erschweren: die Xenophobie bekämpft das Fremde, um das Eigene, Bekannte nicht in Frage stellen zu müssen – der Exotismus zieht dagegen in die Fremde, man muss daher zu Hause nichts ändern.

Wenn also diese Ausstellung hier im Schmetterlingsgarten uns dazu bringt, in den exotischen Schmetterlingen das Bekannte zu finden und in den heimischen Kokons und den „insecta urbanica“ und all den weiteren Spezies, das Fremde zu entdecken, gewinnen wir auch die Chance, scheinbar unversöhnliche Gegensätze aufzulösen. Natur und Kultur statt Natur vs Kultur, Bekanntes und Fremdes statt Bekanntem vs Fremdem.

Dafür danke ich den Künstlerinnen und Fürstin Gabriela und wünsche Ihnen viel Freude bei der Entdeckung von unbekannt Bekanntem!